Demo am 24.10.2015 | 13 Uhr | Odeonsplatz München
Text: Antirassistische Plattform München
In den letzten Wochen sind tausende Menschen aus den Bürgerkriegsregionen und Armutszonen insbesondere des Nahen und Mittleren Ostens in München angekommen. Am Münchener Hauptbahnhof wurden sie von Hunderten freundlich empfangen und mit Wasser, Essen und Kleidung versorgt. Ohne diese selbstorganisierte Hilfe und spontane Solidarität zahlreicher Münchner_innen wäre die Versorgung der Ankommenden wahrscheinlich völlig zusammengebrochen. Dass zunächst elementare Teile der Versorgung, etwa das Bereitstellen von Trinkwasser, durch den Staat ausblieben, erscheint vor diesem Hintergrund als Inszenierung des Notstandes: die freiwillige humanitäre Hilfe wird von der deutschen Politik instrumentalisiert, um das Bild eines vorbildlich hilfsbereiten Landes zu zeichnen, das jetzt aber an die Belastungsgrenzen gelangt sei.
Während überall im Land zahlreiche Menschen spontane Hilfe und praktische Unterstützung für die Geflüchteten organisierten, sind gleichzeitig noch krassere Abschottungsmaßnahmen vorbereitet und die schlimmsten Einschränkungen des Asylrechts seit den frühen 90er Jahren auf den Weg gebracht worden. Diese Maßnahmen spitzen die ohnehin restriktive aktuelle Asyl-Politik weiter zu, die im selben Jahr bereits eine Asylrechtsverschärfung verabschiedet hatte.
Gegen eine solche Politik muss „Refugees Welcome“ jetzt heißen, dauerhafte Bleibeperspektiven zu eröffnen. Das bedeutet auch sich gegen die Asylrechtsverschärfung zu stellen, die aktuell von Union, SPD und Grünen durchgesetzt wird.
Asylrechtsverschärfung stoppen! „Sonderlager“ schließen!
Die Bundesregierung hat in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen Ende September eine weitere weitreichende Verschärfung der Asylgesetzgebung unter dem Titel „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ beschlossen. Neben der Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten wurde beschlossen, Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen nur noch per Sachleistungen zu versorgen. „Vollziebar ausreisepflichtige“ Personen, also Menschen die konkret von Abschiebungen bedroht sind, wird zukünftig nur noch eine Versorgung nach dem „physischen Existenzminimum“ zugestanden. Perfiderweise soll außerdem gesetzlich festgelegt werden, dass Abschiebungen generell nicht mehr angekündigt werden und so die seit Jahren kritisierte Praxis von überfallartigen Abschiebekommandos als rechtlicher Standard etabliert wird. Asylsuchende sollen zudem künftig bis zu sechs Monate in zentralen Massenlagern verbleiben, womit die Unterbringung in chronisch überfüllten Massenlagern als Lebensrealität der Ankommenden künstlich verlängert wird. Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten sollen sogar für die ganze Dauer des Asylverfahrens in der Erstaufnahme verbleiben. Die Bayerische Landesregierung vollzieht diese Praxis bereits. Im September wurden in Bayern die ersten „Sonderlager“ für Menschen aus den Balkanstaaten und anderen sog. sicheren Herkunftsstaaten eröffnet. In diesen Lagern wird im Schnellverfahren über die Asylanträge der Schutzsuchenden entschieden, ohne ausreichende Beratung und rechtlichen Beistand. Zur Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ werden Montenegro, Kosovo und Albanien hinzugefügt, obwohl einige Gruppen dort massiver Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind. „Sonderlager“ für Geflüchtete aus den Balkanstaaten, zu einem Großteil Rom_nija, in dem Land, das während der nationalsozialistischen Herrschaft hunderttausende Rom_nija ermordete, sind ein unfassbarer politischer Skandal.
Grenzen weg! Bewegungsfreiheit für alle!
Grund dafür, dass so viele Menschen auf dem Weg nach Europa sterben, sind nicht „Schlepperbanden“, sondern das europäische Grenzregime. Ein immer weiter ineinander verzahnter EU-Polizei- und Militärapparat sorgt für immer gefährlichere Fluchtrouten. Dieser Apparat richtet sich gezielt gegen die Menschen, denen keine legale Einreisemöglichkeit offensteht, und jene, die die Grenzübertritte unterstützen. Um die Kontrolle und Abschreckung auszuweiten, fordern Politiker_innen, vor und dicht hinter den Grenzen Europas „Auffanglager“ einzurichten. Dort sollen Geflüchtete fern von jeder Teilhabe- und Selbstbestimmungsmöglichkeit gesammelt und nach ihrer Verwertbarkeit für die Wirtschaft oder das moralische Image eines „Europas der Menschenrechte“, aussortiert werden.
Das Problem sind nicht die Geflüchteten! Fluchtursachen benennen und bekämpfen!
All jene Maßnahmen werden nicht verhindern, dass Menschen sich in Bewegung setzen um vor Krieg, Armut, Hunger, Verfolgung, rassistischer oder patriarchaler Unterdrückung oder der Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen zu fliehen – oder sich schlicht auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen. Das hat nicht allein mit Waffenexporten und sogenannten „Friedensmissionen“ zu tun. Die Abgrenzung sogenannter „Wirtschaftsflüchtlinge“ von „echten Flüchtlingen“ übergeht zynisch globale Gewaltverhältnisse: Die ausbeuterische Profit- und Konkurrenzlogik des kapitalistischen Weltmarkts, von der im übrigen Deutschland außerordentlich profitiert, zerstört in großen Teilen der Welt jegliche ökonomische und ökologische Lebensgrundlage.
Häuser brennen, der Staat schiebt ab
In der anhaltenden Krise des Kapitalismus werden auch in Westeuropa Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen durchgesetzt. Parteiübergreifend wird zusammen mit Wirtschaftsverbänden die Gesellschaft weiter und weiter nach der Ideologie von Konkurrenz, Leistung und Profit in allen Lebensbereichen umgebaut. Alle gegen alle – „wir“ gegen „die“. Dies bestärkt Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie, reaktionäre und faschistische Parteien und Ideen bekommen starken Zulauf. Rassistische Mobilisierungen treiben in Deutschland Tausende auf die Straße, während der rassistische Terror abermals Hochkonjunktur hat. Allein von Januar bis September 2015 gab es über 60 Brandanschläge auf Unterkünfte für Asylsuchende. Die Lagerpflicht schafft eine ideale Angriffsfläche für diejenigen, denen die ohnehin tödliche Abschottungspolitik nicht weit genug geht.
Fähren statt Frontex. Solidarität mit allen Geflüchteten!
Diese Zustände sind unerträglich. Wir wollen die freie Wahl des Aufenthaltortes für alle Menschen, den Stopp der Dublin III Abschiebungen und bevormundender Quotenregelungen. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft ohne rassistische Ausschlüsse. Eine solche kommt jedoch nicht von allein. Die Ereignisse der letzten Monate haben einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, wie Geflüchtete kämpfen müssen, um Grenzen zu überwinden, und so auch gegen herrschende Interessen politische Verhältnisse verschieben. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen auf der Flucht und ihren Kämpfen und tragen am 24. Oktober unseren Protest auf die Straße.